Die Anfänge der Sammlung
Die Gründung der wie die übrigen "alten" Universitätssammlungen in Wien und Innsbruck aus einer Sammlung von Originalen und Abgüssen bestehenden Archäologischen Sammlungen der Universität Graz als Archäologisches Museum oder Archäologisches Cabinet erfolgte bereits im Jahre 1865. Die Initiative dazu ging auf den klassischen Philologen der Grazer Universität, Karl Schenkl, zurück, der für seinen realienkundlichen Unterricht als Apparat eine Sammlung von Abgüssen und Originalen anstrebte. Gemeinsam mit dem zweiten klassischen Philologen, Max v. Karajan, und dem Germanisten Karl Tomaschek stellte Schenkl 1865 an das Professorenkollegium der Philosophischen Fakultät den Antrag auf Gründung eines archäologischen Cabinets; dieser Antrag wurde einstimmig beschlossen und an das Ministerium für Cultus und Unterricht weitergeleitet.
Diesem Beschluss wurde ein Statuten-Entwurf beigefügt, in dem festgelegt wurde, dass drei Professoren der Philosophischen Fakultät die Leitung des Cabinets innehaben sollten, nämlich die beiden Vertreter der klassischen Philologie und ein durch Wahl zu bestimmender weiterer Professor, sofern nicht ein Professor für klassische Archäologie nach Graz berufen werden sollte - was allerdings erst 1877 der Fall war, als Wilhelm Gurlitt zum (unbesoldeten) außerordentlichen Professor für klassische Archäologie und die realen Fächer der klassischen Philologie an der Universität Graz ernannt wurde. Laut Statut sollte das archäologische Cabinet Hilfsmittel für Vorlesungen über die Kunst der Griechen und Römer enthalten, der besseren Ausbildung der Lehramtskandidaten der (klassischen) Philologie und Geschichte dienen, aber auch Künstlern eine Hilfe zu ihrer Weiterbildung sein. Wenn die Sammlung groß genug geworden wäre, sollte sie auch einem gebildeten, kunstliebenden Publikum zugänglich sein. Die Sammlung sollte Originale, Nachbildungen und Photographien enthalten, ein integrierender Bestandteil der Universität Graz und Eigentum des Staates sein.
Die finanziellen Grundlagen
Die Finanzierung der Sammlung sollte nicht in erster Linie von staatlicher Seite erfolgen, sondern durch Vorträge, Spenden und Schenkungen aufgebracht werden; das Ministerium wurde aber um die Zuweisung eines Raumes gebeten und um eine Jahresdotation von 100 Gulden ersucht. Den drei Antragstellern wurde in der Antwort des Ministeriums hohes Lob für ihre Eigeninitiative ausgesprochen und die Notwendigkeit eines archäologischen Apparates für den klassischen Unterricht ausdrücklich anerkannt. Die Dotation wurde gewährt und zugesagt, in die Pläne für die Erweiterung (bzw. den Neubau) der Grazer Universität die Räumlichkeiten für ein archäologisches Cabinet mit einzubeziehen. Aber bereits im Wintersemester 1866/67 ersuchten die Vorstände des Archäologischen Cabinets das Ministerium um eine außerordentliche Dotation von 300 Gulden für den Ankauf von insgesamt 19 Abgüssen aus den Königlichen Museen Berlin. 1867 wurde die Jahresdotation des Archäologischen Cabinets von Seiten des Kultusministeriums auf 200 Gulden erhöht, 1873/74 betrug sie 600 Gulden. In der Folge dürften jahresweise weitere Dotationen für den Ankauf von Abgüssen und Originalen an das Archäologische Cabinet geflossen sein, ohne dass sich aber die Ankäufe und Zuwächse anhand der archivalischen Unterlagen verifizieren lassen. Dass die Sammlung mit finanzieller Unterstützung des Kultusministeriums, der Steiermärkischen Sparkasse und privater Spender bereits im Winter 1866/67 im Wesentlichen vollendet gewesen sei, ist angesichts eines Bestandes von 431 Inventarnummern in der Abgusssammlung und von 252 Inventarnummern in dem unvollständigen Inventar der Originalsammlung gänzlich unwahrscheinlich. Dagegen spricht auch der Bestand von Ende 1887, der im Rahmen der Abgusssammlung - die Abgüsse von Statuetten, nicht aber die Gemmenabdrücke mitgerechnet - 358 Stück umfasst, während die Originalsammlung mit 224 Originalen großteils den endgültigen Stand erreicht haben dürfte. Leider klafft für die Zeit zwischen 1870-1890 im Aktenmaterial eine Lücke.
Der Standort "Alte Universität"
Jedenfalls war die Sammlung 1867 in einem Raum der Alten (Jesuiten)-Universität soweit untergebracht, dass sie jeweils am Donnerstag und am Sonntag von 11-12 Uhr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte, war aber bereits 1870 räumlich völlig ausgelastet. Ab dem Jahre 1868 gehören auch Münzen zu den Beständen der Originalsammlung, für die vom Ministerium eine zusätzliche Jahresdotation von 30 Gulden bewilligt wurde; die Ordnung und Katalogisierung der Münzbestände wurde von dem Althistoriker Friedrich Pichler übernommen.
Von den ab 1865 erworbenen Originalen ist tatsächlich ein Teil durch Schenkungen an die Sammlung gekommen. So hat Max von Karajan, einer der Vorstände in dem dreiköpfigen Direktorium des Archäologischen Museums, der Sammlung noch in den 60-er Jahren mehrere Skulpturen geschenkt. Eine Reihe apulischer Keramiken in der Sammlung lässt sich als Schenkung von Richard Knabl ("Dr. Krabel") mit einem unteritalischen Grabfund identifizieren. Andere Stücke sind in den 70-er Jahren des 19. Jh. über den Kunsthandel in die Grazer Originalsammlung gelangt, so etwa die attisch-schwarzfigurige Lekythos des Sandalen-Malers mit dem Löwenkampf des Herakles, die 1874 von Wolfgang Helbig in Athen erworben und 1875 an die Sammlung weiterverkauft wurde. Identische Herkunft haben zwei attisch-rotfigurige Halsamphoren mit einer Nikedarstellung (Alkimachos-Maler) bzw. einer Opferszene (Saboroff-Maler) auf den jeweiligen Vorderseiten, die beide 1872/73 in Capua erworben wurden, was wohl für einen gemeinsamen Fund sprechen dürfte. Dazu passt einerseits die Form der nolanischen Amphora mit dreiteiligem Henkel und andererseits die gleiche Entstehungszeit der beiden Stücke. In diesem Zusammenhang muss noch eine dritte nolanische Amphora aus der Grazer Originalsammlung mit einer Darstellung des Poseidon (Yale-Lekythos-Maler) auf der Vorderseite erwähnt werden, die 1874 erworben wurde, deren Herkunft aber laut Inventar unbekannt ist, obwohl aufgrund der Vasenform und der Herkunftszeit der beiden anderen nolanischen Amphoren der Sammlung die Vermutung nahe liegt, dass auch diese attisch-rotfigurige Halsamphora aus Capua stammen dürfte.
Die Ära Gurlitt
Mit der 1877 erfolgten Berufung von Wilhelm Gurlitt nach Graz verteilten sich die Aufgaben der drei Vorstände des Archäologischen Cabinets so, dass F. Pichler die Numismatische Abteilung leitete, W. Gurlitt den Rest der Sammlung und M. v. Karajan für die Finanzgebahrung verantwortlich war; ab 1892 erfolgten die Dotationsabrechnungen für die archäologische und die epigraphisch-numismatische Sammlung getrennt. 1881/82 konnte das Extraordinariat für klassische Archäologie systemisiert werden, so dass W. Gurlitt zum besoldeten außerordentlichen Professor ernannt wurde. 1890 wurde W. Gurlitt schließlich zum Ordinarius für klassische Archäologie ernannt, wobei dieser Ernennung ein Konkurrenzkampf um die Position eines ordentlichen Professors zwischen den philosophischen Fakultäten in Graz und in Innsbruck vorausgegangen war. Seit 1894 führte die Sammlung die Bezeichnung Archäologisches Institut. Im selben Jahr bat W. Gurlitt in einem Schreiben an das Kultusministerium um eine Dotation von 500 Gulden für die Bibliothek und von 300 Gulden für die Abgusssammlung sowie um eine außerordentliche Dotation von 1.500 Gulden für die Erweiterung der Originalsammlung. Tatsächlich wurde daraufhin ein Zuschuss von 500 Gulden für die Abgusssammlung gewährt. Bis 1900 blieb es bei einem jährlichen Beitrag von 700 Gulden für das Archäologische Institut plus 100 Gulden für Münzen, wobei allerdings 1894 und 1895 jeweils ein Zuschuss von 500 Gulden für das Gipsmuseum gegeben wurde.
Der Umzug ins neue Universitätsgebäude
Die weitere Geschichte der archäologischen Sammlung des Instituts ist eng mit jener der Lehrkanzel für Klassische Archäologie, des späteren Instituts für klassische Archäologie und heutigen Instituts für Archäologie verbunden. 1894 erfolgte der Umzug des Archäologischen Instituts in das neue Universitätsgebäude, wo im 2. Stockwerk des Hauptgebäudes ausgiebig Platz für die Sammlung vorgesehen war. Diese umfasste nun den ganzen westlichen Trakt des Hauptgebäudes über der Aula mit fünf symmetrisch angelegten Räumen von insgesamt 444 Quadratmetern.
Diese ursprünglich der Sammlung vorbehaltene Fläche reduzierte sich allerdings durch den später erfolgten Einzug der Bibliothek in die zwei vorderen Räume der Sammlung auf 281 m2. Die fünf Säle hatten ein Glasdach und damit eine museumsgerechte Beleuchtung. Das 1945 durch Bombensplitter beschädigte Glasdach wurde von der sowjetischen Besatzung zunächst provisorisch ausgebessert, konnte aber in der Folge von dem für die Universität verantwortlichen Landesbauamt niemals gründlich saniert werden. Bei ihrer Berufung im Jahre 1967 wurde E. Diez vor die Alternative gestellt, das Glasdach sanieren oder entsprechendes Kunstlicht in die Sammlung einleiten zu lassen, wobei sie sich für Letzteres entschied. Die Bibliothek mit dem Professorenzimmer wurde zunächst in einem Raum im 2. Stockwerk des S-Traktes des Hauptgebäudes untergebracht. Bereits 1895 wandte sich W. Gurlitt in einem Brief an das Ministerium mit dem Hinweis darauf, dass für die Sammlung und die Bibliothek nicht genügend Platz vorhanden sei. 1899 berichtete W. Gurlitt dem Ministerium, dass er von den für die Sammlung bestimmten Räumlichkeiten zwei dem Kunsthistorischen Institut überlassen habe, da dieses sie dringend benötigt hätte, weshalb Abgüsse auf den Gang gestellt werden mussten. 1900 stimmte das Ministerium der Errichtung eines archäologisch-epigraphischen Seminars zu, aus dem sich in der Folge das Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde entwickelte, dem die Münzsammlung zugeschlagen wurde, bzw. das Institut für klassische Archäologie mit seiner Original- und Abgusssammlung.
Die Sammlung in der Zeit der beiden Weltkriege
Die Entwicklung der Abguss- und der Originalsammlung stagnierte im Wesentlichen seit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs. Zwar konnte Rudolf Heberdey (von 1911-1933 Professor an der Grazer Universität) noch 1914 im Tausch für zwei angeblich aus Ephesos stammende Marmorreliefstücke sieben geometrische Vasen, vier melische Schalen, fünf fragmentierte Lekythen und zwei attische Lämpchen eintauschen, wobei die Stücke aufgrund ihrer Aufschriften ursprünglich aus dem Athener Nationalmuseum stammten. R. Heberdey, der von 1898-1913 Leiter der Ausgrabungen in Ephesos war, brachte Keramikfragmente aus Ephesos und Izmir (Smyrna) in die Scherbensammlung des Grazer Instituts und führte offensichtlich noch weitere Tauschgeschäfte durch, die vor allem der Erweiterung der Scherbensammlung am Institut dienten: dazu gehörte z.B. eine spätneolithische Scherbengruppe aus Dimini, aber auch Fundstücke aus Phylakopi auf Melos und aus Mykene, die jeweils in Diplomarbeiten veröffentlicht worden sind.
Einen zweifelhaften Versuch, die Scherbensammlung um minoisches Material zu ergänzen, stellte das von Arnold Schober (1936-1945 o. Professor für klassische Archäologie in Graz) initiierte Unternehmen dar, während des 2. Weltkrieges mithilfe seines Assistenten August Schörgendorfer eine Sammlung von Scherben kretischer Keramik im Zuge der projektierten Einrichtung eines Kreta-Institutes in Graz zusammenzustellen. Ende 1942 brachte A. Schörgendorfer eine Kiste mit 502 Scherben neolithischer bis spätminoischer Zeit nach Graz, die ihm zum Dank für seine Verdienste im Rahmen seiner Arbeit für den deutschen Kunstschutz auf Kreta übergeben worden waren. Die Scherben wurden 1945 von A. Schober gemeinsam mit Erna Diez (ab 1948 prov. Leiterin des Instituts, ab 1967 ao. Univ.-Prof. und von 1970-1983 Ordinaria für klass.Archäologie in Graz) im sog. Kretazimmer des Instituts in zwei Vitrinen ausgestellt (Abb. 2). 1947/1948 wurde in einem Verfahren der Britischen Zivilverwaltung unter Einschaltung von Spyridon Marinatos als Vertreter der griechischen Regierung der Kompromiss erzielt, dass die aus britischen Grabungen stammenden Scherben gegen den Tausch von Dubletten aus der Bibliothek des Instituts als Studienbehelfe in Graz bleiben sollten. Der minoische Scherbenbestand wurde auf diese Weise im Nachhinein großzügig legalisiert.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute
In den Jahren seit dem 2. Weltkrieg wurde erst unter Thuri Lorenz (Ordinarius für klass. Archäologie in Graz von 1984-1999) der Versuch unternommen, sowohl die Abgusssammlung als auch die Originalsammlung wieder zu beleben. Für die Abgusssammlung konnten immerhin vier Exemplare (Doryphoros in Minnesota, Faustkämpfer im Thermenmuseum, Vier-Jahreszeitenaltar in Würzburg und Augustus in München) erworben werden, nachdem zuvor bereits von Gerda Schwarz ein Abguss des Kairos aus Trogir geschenkt worden war.
Allerdings musste die vor dem auf dem Gang vor den altertumswissenschaftlichen Instituten im Nord-Trakt des 2. Stocks des Hauptgebäudes der Universität aufgestellte Porträtgalerie wegen Vandalenakten und Diebstahls mehrerer Stücke in die Instituts- und Sammlungsräume aufgenommen werden, obwohl für sie eigentlich gar kein Platz mehr vorhanden war. Um Raum für die Neuaufstellung der Originalsammlung zu erhalten, wurden die Friese des Siphnier-Schatzhauses im Gang aufgestellt, in einer Höhe, die sie zwar vor Beschädigungen weitgehend schützt, für die Betrachtung aus der Nähe aber nicht günstig ist. Verglichen mit dem relativ doch bedeutenden Zuwachs, den die Abgusssammlungen in Wien und Innsbruck in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg hatten bzw. mit der Neugründung der Abgusssammlung in Salzburg ist dieser Zuwachs eher als bescheiden zu bezeichnen. Die besten Stücke der Originalsammlung wurden in neuen Glasvitrinen aufgestellt, wobei eine Vitrine provinzialrömischem Fundmaterial aus den Ausgrabungen des Instituts im vicus von Kalsdorf bei Graz vorbehalten wurde.
Auch im Bereich der Originalsammlung wurde von Thuri Lorenz der eher schüchterne Versuch gemacht, über eine Sonderdotation eine Neuerwerbung aus dem Bereich der in der Sammlung eher schwach vertretenen korinthischen Keramik zu machen. Der 1991 aus dem Schweizer Kunsthandel erworbene frühkorinthische Kolonettenkrater gibt allerdings einige Probleme auf. Gerda Schwarz hat in ihrer Bearbeitung des Stückes darauf hingewiesen, dass der Gefäßkörper flüchtig und ungleichmäßig überpinselt und der Glanzton stellenweise zu dünn aufgetragen sei.
Weitere wichtige Stücke der Originalsammlung stammen aus dem provinzialrömischen Bereich: es handelt sich dabei um einen Mosaikboden, der 1877 bei Ausgrabungen F. Pichlers in Flavia Solva zum Vorschein kam, 1883 von Kaiser Franz Josef I der Universität geschenkt wurde, im 1894 bezogenen Neubau der Universität aber keinen Platz fand und bis 1994 deponiert blieb. Anlässlich der Jahrhundertfeiern für den Neubau der Universität konnte der Mosaikboden mithilfe des damaligen Universitätsarchivars Walter Höflechner ermittelt und mit einer Sonderdotation des Wissenschaftsministeriums durch Karl Herold in der Werkstätte des Österreichischen Archäologischen Instituts restauriert werden.
Bei einer Notgrabung im Areal der römerzeitlichen Siedlung von Kalsdorf bei Graz wurde eine Marmorstatuette eines Icarus gefunden, die zu den in der Provinz Noricum relativ zahlreichen Vertretern des Jünglings in der Sepulkralkunst gehört.
In der jetzigen Aufstellung der Originale und Abgüsse der archäologischen Sammlung der Universität Graz hat sich für die Abgüsse eine für beide Teile durchaus fruchtbare Symbiose mit den hier arbeitenden Studierenden ergeben, für die Originale eine doch sehr beengte gemeinsame Aufstellung mit den Abgüssen archaischer Skulptur und Tischen für Vorlesungs- und Übungszwecke. Eine Lösung der anstehenden Probleme könnte höchstens die Entflechtung von Institut und Sammlung bringen, die wegen des angesprochenen Zusammenlebens weniger erstrebenswert ist.